Sommerinterview: CDU-Bundestagsabgeordneter aus Espelkamp
Espelkamp - Dr. Oliver Vogt (46) ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus Minden-Lübbecke und dort auch Kreisvorsitzender seiner Partei. Der promovierte Physiker hat einen sehr wissenschaftlichen und nüchternen Blick auf die Klimapolitik.
Von Andreas Schnadwinkel
Sie haben einige Sommertage in Thüringen verbracht. Sind Sie mit Leuten dort, wo die AfD über 30 Prozent liegt, ins Gespräch gekommen?
Oliver Vogt: Ja. Denn mich hat es auch interessiert, warum gerade in dem Bundesland, in dem der AfD-Vorsitzende Björn Höcke heißt und am rechten Rand der AfD steht, die Werte so hoch sind. Die Antworten der Leute sind vielfältig. Es geht auch darum, den etablierten Parteien Denkzettel zu verpassen. Die Grundstimmung entspricht den jüngsten Umfragen, wonach laut Allensbach 59 Prozent gar keiner Partei mehr vertrauen. Das Misstrauen in die politisch Verantwortlichen ist ebenso groß wie die Annahme, dass demokratische Institutionen nicht mehr in der Lage seien, die Probleme der Menschen überhaupt erstmal einer Lösung zuzuführen. In den östlichen Bundesländern – und nicht nur dort – fällt es den klassischen Parteien immer schwerer, ihre Politik zu kommunizieren und an die Leute zu bringen. Die Kommunikationswege funktionieren immer weniger, da müssen wir uns neu erfinden.
Ostdeutsche nicht repräsentiert
Ist die Wahl des AfD-Landrats im thüringischen Sonneberg auch so ein Denkzettel?
Vogt: Ja, ganz klar. Darüber habe ich mit Bürgern gesprochen. Wenn sich vor der Stichwahl alle anderen Parteien gegen den AfD-Kandidaten solidarisieren, dann führt das zum gegenteiligen Effekt. Fühlen sich die Leute im Osten immer noch abgehängt? Vogt: Ja, dieses Gefühl herrscht noch vor. Aber die Leute sind nicht undankbar. Sie fühlen sich als Ostdeutsche eher unterrepräsentiert, was öffentlich sichtbare Spitzenpositionen angeht. Und dieser Eindruck stimmt auch.
Die Ampel-Koalition regiert Deutschland nicht gut, ihre Politik schadet der Wirtschaft. Und trotzdem dümpelt die Union bei 25 bis 27 Prozent. Warum?
Vogt: Früher war es so, dass es auf das Konto der demokratischen Opposition eingezahlt hat, wenn eine Regierung an Vertrauen verloren hat. Das ist heute anders. Die 16 Jahre Regierungszeit unter Angela Merkel haben die CDU inhaltlich ausgedünnt. Wir haben die Bundestagswahl 2021 nicht wegen Armin Laschet oder des Konflikts mit CSU-Chef Markus Söder verloren. Das greift viel zu kurz. Wir waren als Gesamtpaket nicht mehr gut genug, deswegen sitzen wir in der Opposition. Das haben wir noch nicht hinreichend aufgearbeitet, und das merken die Wähler. Die Leute erwarten Lösungen für Probleme, und die Lösungskompetenz wird den Parteien kaum noch zugetraut. Die Werte sind im Vergleich zu früheren Zeiten erschreckend niedrig.
„Carsten Linnemann der richtige Mann“
Läuft es mit Carsten Linnemann als Generalsekretär schon anders?
Vogt: Die Durchschlagskraft des Konrad-Adenauer-Hauses wird stärker, und die Themensetzung ist zielgerichteter. Carsten Linnemann ist der richtige Mann an der richtigen Stelle, weil er genau das besonders gut kann: Lösungskonzepte erarbeiten für die Probleme der Leute.
Die Bundesregierung unternimmt nichts gegen die Massenzuwanderung und schadet der Wirtschaft. Auch deswegen sind viele unzufrieden und würden AfD wählen. Ist es richtig, diese Themen zu besetzen, um die Union nach vorne zu bringen?
Vogt: Aus meiner Sicht ist das der richtige Weg. Die Bürger brauchen eine positive Perspektive, um wieder optimistisch in die Zukunft zu schauen. Renten, Wohnen, Migration, Heizen, Mobilität, Arbeitsplätze – wie geht es damit weiter? Dafür müssen wir Lösungen liefern. Die Wähler fragen mich nicht nach Gendern und feministischer Außenpolitik.
Klimahysterie erzeugt Angst
Geht Ihnen als Physiker die Klimahysterie der Grünen und der Medien zu weit?
Vogt: Ich bin weit, weit weg von Leuten, die sagen, dass es einen menschengemachten Klimawandel nicht gäbe. Das ist völliger Quatsch. Wer mit offenen Augen durch die Landschaft und insbesondere durch die Wälder geht, der sieht, dass wir Klimawandel haben. Diese Veränderungen sind mit höherem Tempo unterwegs als in früheren Klimawechselperioden. Wegen der Geschwindigkeit kann die Natur nicht überall schnell genug Resistenzen aufbauen. Deshalb müssen wir als Menschen intensiv darüber nachdenken, wie wir nachhaltiger mit unseren natürlichen Ressourcen umgehen – auch im Hinblick auf zukünftige Generationen. Was mir bei der Debatte nicht gefällt, ist das bewusste Erzeugen von Angst. Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, dass mit Angstszenarien Menschen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden sollen. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Deswegen ist die Hysterie völlig fehl am Platze. Und dass die Hysterie jedes Maß überschreitet, sehen wir ja bei der „Letzten Generation“. Diese Aktionen schaden der Akzeptanz des Klimaschutzes und sorgen im Gegenteil für eine Abwehrhaltung gegenüber Klimaschutzmaßnahmen.
Bei CO₂ schon einiges erreicht
Wo stehen wir heute beim Klimaschutz?
Vogt: Deutschland hat seinen CO₂-Ausstoß seit 1990 bis heute schon um 40 Prozent reduziert. Dabei haben zwei Sondereffekte geholfen: der Niedergang der ehemaligen DDR-Industrie nach der Wiedervereinigung und die Corona-Pandemie mit dem letzten Prozentpunkt, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Gleichzeitig hat sich die unsere Wirtschaftsleistung in den 33 Jahren verdoppelt. Das Narrativ, dass in den vergangenen Jahrzehnten bei der CO₂-Reduzierung nichts passiert sei, ist falsch. 1990 ist das Referenzjahr für die Berechnungen. Bei allen Vorsätzen und Zielen, die wir beim Klimaschutz haben, müssen wir die Menschen mitnehmen. Und das gelingt der Ampel-Koalition gar nicht. Da reicht das „You'll never walk alone“ des Kanzlers nicht. Wir müssen mit Anreizen arbeiten und eine Planungssicherheit über Jahrzehnte garantieren, um da erfolgreich zu sein. Dann könnten wir vielleicht Vorbild sein und Nachahmer finden. Erst dann hätten wir etwas für das globale Klima erreicht. Unser Anteil am weltweiten CO₂-Ausstoß liegt zwischen 1,8 und 2 Prozent, der Europas bei 9,5 Prozent. Wir müssen zum Beispiel Indien überzeugen, weniger CO₂ auszustoßen, damit es einen globalen Effekt gibt. Wir leben ja nicht alleine auf dieser Erde.
Sollte es nach der nächsten Bundestagswahl wieder eine unionsgeführte Bundesregierung geben: Was würden Sie zurücknehmen? Das Bürgergeld?
Vogt: Das hört sich im Wahlkampf immer toll an, wenn sich ein Politiker dahinstellt und sagt: „Das schaffen wir wieder ab.“ Dafür gibt es aber nur sehr wenige Beispiele in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn solche Aktionen sind mit einem immensen administrativen Aufwand verbunden. Es geht eher darum, Fehlentwicklungen durch die Novellierung bestehender Gesetze zu korrigieren. Beim Bürgergeld sollte das Fordern eine viel größere Rolle spielen. Da werden wir als Union nachschärfen. Ohne CDU und CSU im Bundesrat gäbe es in dem aktuellen Gesetz noch weniger Fordern.
Bahn soll Trassenvariante nennen
Ihr Wahlkreis wäre vom Neubau einer ICE-Trasse stark betroffen. Von der CDU in OWL und in NRW hört man dazu wenig. Woran liegt's?
Vogt: Als CDU in Ostwestfalen-Lippe haben wir ein Positionspapier beschlossen, das noch relativ allgemein gehalten ist. Wir wollen von der Deutschen Bahn wissen, auf welche Variante es zuläuft. Erst dann können wir uns konkret äußern. Allgemein setzen wir uns aber für einen minimalinvasiven Eingriff in unsere Region ein.