„Die Versorgung durch Apotheken vor Ort ist nicht selbstverständlich“
Angela Warnstorf verwaltet den Mangel. Im Backoffice der Mindener Kuhlenkamp-Apotheke sitzt sie am Computerbildschirm und scrollt durch eine hunderte Zeilen lange Liste. Annähernd 500 Arzneimittel sind es derzeit, die nicht zu bestellen sind. „Selbst die kleinen Traubenzucker sind nicht lieferbar“, sagt Angela Warnstorf und fügt noch hinzu: „Bitte nicht lachen.“ Aber zum Lachen ist Dr. Oliver Vogt offenbar nicht zumute.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete für den Kreis Minden-Lübbecke ist in die Apotheke gekommen, um sich ein Bild von den Problemen in der Arzneimittelversorgung zu machen. Vogt kommt aus Espelkamp, ist im Bundestag Mitglied des Ausschusses Ernährung und Landwirtschaft. Die Stärkung des ländlichen Raumes und die Schaffung gleichwertiger Rahmenbedingungen für die Menschen dort sind ihm ein Anliegen. Eine gute Gesundheitsversorgung gehört für ihn dazu. Dass es mit der längst nicht mehr zum Besten bestellt ist, macht die lange Liste deutlich, vor der Angela Warnstorf sitzt. Die pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte schildert, welches Netzwerk sie sich mittlerweile bei Großhändlern und Pharmaunternehmen aufgebaut hat, um frühzeitig zu erfahren, wenn eine Palette der lange gesuchten Produkte erwartet wird und dann im richtigen Moment zu bestellen. Welche Kopfstände das Team darüber hinaus vollführen muss, um die Patienten versorgen zu können, wenn das vom Arzt verordnete Mittel nicht zu bekommen ist, berichtet Manuela Schier, Inhaberin der Apotheke und Vorstandsmitglied im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Mitunter koste es eine Stunde Arbeitszeit, um eine Alternative zu recherchieren, den Arzt zu erreichen und Lösungen abzustimmen. „Jedes zweite Rezept ist mittlerweile von einem Engpass betroffen. Das heißt, wir müssen jeden zweiten Patienten in der Apotheke beruhigen, vertrösten und ihm das Alternativpräparat ausführlich erklären, damit er es korrekt anwendet und die Therapie nicht abbricht.“ Lieferengpässe sind ein bundesweites Problem – aber die Menschen im ländlichen Raum stellen sie mitunter vor größere Herausforderungen als die Bürger in Großstädten. Wenn zum Beispiel eine Notdienstapotheke ein Mittel nicht vorrätig hat, müssen Patienten die nächste ansteuern – und Oliver Vogt weiß, wie weit der Weg in seinem Kreis sein kann. Er wird in Zukunft möglicherweise noch länger, wenn die Politik nichts unternimmt, warnt Manuela Schier. Um 15,5 Prozent ist die Zahl der Apotheken im Kreis Minden-Lübbecke in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Sie werde weiter fallen,befürchtet Schier. Denn das Honorar der Apotheken sei in den vergangenen Jahren deutlich zusammengeschmolzen: „Seit 20 Jahren ist die Apothekenvergütung nur ein einziges Mal angehoben worden – um wenige Cent. Zugleich aber sind Sach- und Personalkosten gestiegen, zuletzt sind die Energiepreise explodiert und die Inflation galoppiert davon“, sagt Schier. Obendrein habe der Gesetzgeber die Vergütung jetzt sogar noch weiter gekürzt: Seit Februar dieses Jahres müssten die Apotheken ein Sonderopfer leisten, um die Finanzierungslücke der Krankenkassen zu decken. „Mittlerweile ist die Vergütung pro Rezept, das ein gesetzlich versicherter Patient bei uns einlöst, defizitär“, zitiert Schier eine aktuelle Studie. „Wir legen 27 Cent pro Packung drauf.“ Hinzu kämen Belastungen durch überbordende bürokratische Anforderungen, durch ungerechtfertigte Regressverfahren der Krankenkassen sowie einen enormen Fachkräftemangel. „Apotheker ist der schönste Beruf der Welt. Patienten geben uns so viel zurück, wenn wir ihnen helfen. Es fällt mir schwer, dafür mehr Geld zu verlangen. Aber wir müssen auch von unserer Arbeit leben und unsere Mitarbeiter angemessen bezahlen können“, sagt sie. „Wir brauchen dringend eine Honoraranpassung.“ „Die Strukturen im ländlichen Raum müssen erhalten bleiben“, sagt Oliver Vogt. „Der Tag in der Apotheke hat mir gezeigt, dass die Versorgung mit Apotheken nicht selbstverständlich ist. Wir müssen dafür auch etwas tun.“ Die Apotheken in Westfalen-Lippe versorgen die Bevölkerung mit lebenswichtigen Arzneimitteln, sie beraten die Menschen kompetent und vertraulich und erbringen wohnortnah pharmazeutische Dienstleistungen. Der AVWL vertritt die Interessen von rund 1.300 Apothekeninhabern mit mehr als 1700 Haupt- und Filialapotheken. Er versteht sich als Zweckverband für die wirtschaftlichen, rechtlichen und berufspolitischen Interessen seiner Mitglieder und vertritt diese nach außen.
Weitere Informationen unter www.apothekerverband.de
Kontakt: Nina Grunsky, Tel.: 0251/5393834, presse@avwl.de